Ist die Apotheke vor Ort wirklich bedroht oder alles nur Schabernack?

04. Juli 2019

Die Pharmaindustrie, vor allem der deutsche Apothekenmarkt, ist in Zeiten der Digitalisierung, Verdrängungswettbewerb und regulatorischen Gesetzgebungen eine starre und behagliche Disziplin. Nichtsdestotrotz leistet sie in dieser Zeit trotz kompetitiver Marktumfelder einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der flächendeckenden Gesundheitsfürsorge in Deutschland. Die Digitalisierung stellt den Apothekenmarkt in den nächsten Jahren vor eine seiner größten Herausforderungen.

Um erfolgreich am Markt bestehen zu können, muss die stationäre Apotheke ihre Schwerpunkte online sichtbar bis nach Hause zum Kunden zeigen, um dadurch eine langfristige Kundenbindung aufzubauen und sich gegenüber dem Wettbewerb zu positionieren. Um dieser Herausforderung entsprechen zu können, bedarf es einer kontinuierlichen Verbesserung der Service- und Beratungsleistung. Dazu muss die stationäre Apotheke digital werden, Stärken sichtbar und erlebbar machen. Die Apothekenzahl in Deutschland erreicht zum ersten Quartal 2017 mit 19.898 Apotheken das niedrigste Ergebnis seit den frühen 1990er Jahren. Im Wiedervereinigungsjahr war die Anzahl aufgrund des Nachholbedarfs in Ostdeutschland demzufolge niedrig. Zu den heutigen Ursachen gehören neben dem Verdrängungswettbewerb, auch gesundheitspolitische Rahmenbedingungen wie das festgelegte EuGH-Urteil vom 19.10.2016, welches die Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente von ausländischen Versandhändler aufgehoben hat. Die Apotheke vor Ort ist jedoch an diese Bindung gebunden. Dadurch dominieren zunehmend Onlineversandhändler die Apothekenlandschaft.

Eine Umfrage der Pharmazeutischen Zeitung hat ergeben, dass die große Mehrheit der befragten Apothekern von 87 Prozent befürchten, dass infolge des EuGH-Urteils Existenznöte bevorstehen. In Zukunft wird es also immer mehr Konkurrenz durch Onlineversandhändler geben und es droht den stationären Apotheken langfristig nicht mehr marktfähig zu bleiben. Nach einer Pressemitteilung der Deutschen Apotheker Zeitung hat Amazon im Mai 2017 den Arzneimittelversand in Kooperation mit einer Münchner Apotheke gestartet. In München werden in diesem Zuge Medikamente über Amazons Service Prime-Now innerhalb von einer Stunde geliefert. In Zeiten der Digitalisierung und neuen Wettbewerbern wird der Apothekenmarkt einen Wandel erleben. Abseits des Kerngeschäfts müssen Apotheken Dienstleistungen präsentieren, um den wachsenden Kundenansprüchen gerecht zu werden. Der Kunde stellt sich durch die Digitalisierung in den Mittelpunkt der Dienstleistung.  Die Beratungsleistung, welche von Internetapotheken nicht angeboten werden kann, wird demenentsprechend in den Vordergrund rücken. Diese Beratung muss mit digitalen Maßnahmen zu einem Service- und Beratungserlebnis ausgebaut werden.

Kundenorientierte Maßnahmen wie Webseite und Newsletter, soziale Netzwerke und Onlineshop sind den Apotheken bereits bekannt, viele sind sich aber unschlüssig und zögern, diese einzusetzen. Die Unentschlossenheit ist auf die fehlende Expertise in der Digitalisierung zurückzuführen. Aus diesem Grund schöpfen auch lediglich zwei Prozent der Apotheken ihre digitalen Möglichkeiten und Potentiale voll aus. „Wer die Digitalisierung nicht aktiv angeht, wird in fünf oder zehn Jahren nicht mehr in der Wirtschafts- und Arbeitswelt sein,“ erläutert Günther Öttinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Heutzutage regelt die deutsche Bevölkerung bereits selbstverständlich das Bankgeschäft, die Shoppingtouren und die Kommunikation online. Hinzu kommt die Generation „Digital Natives“, welche aktiv diesen Trend mitgestalten, fördern und mittlerweile unsere Kommunikation nachhaltig verändert haben.Nach der Unternehmensberatung Roland Berger muss Deutschland in der Digitalwirtschaft zulegen und bis 2025 große Internetunternehmen generieren, die mit den US Konzernen konkurrenzfähig agieren können.

Der Kunde beziehungsweise die „Digital Natives“ werden eine immer höherwerdende Erwartung an die Serviceleistungen haben, auch in der stationären Apotheke und die Rolle des Heilberufs zunehmend in Frage stellen. Kunden sind informierter und holen neben dem Apothekenkontakt auch Zweitmeinungen ein. Des Weiteren wird die Arznei verstärkt im Internet besorgt werden. Nach der Studie der Deutschen Ärzte- und Apothekerbank rechnen Apotheker und Ärzte damit, dass 85 Prozent der Kunden im Jahr 2030 informierter sein werden als heutzutage.

„Die Patienten lesen viel im Internet und fragen nach. Wir Apotheken müssen uns darauf einstellen, dass sie sich immer mehr eine zweite Meinung einholen werden.“

Die Beratung und das Fachwissen als Kernleistung der Apotheke, bekommt in diesem Zuge einen bestimmenden Stellenwert, den keine Onlineversandapotheke leisten kann. Für 96 Prozent der Apotheker ist die persönliche Beratung ein klares Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Onlineversandhandel. Dieses Alleinstellungsmerkmal sollte ausgebaut werden, da das Vertrauen in die Expertise und Kompetenz der Apotheke heutzutage noch vorhanden ist. Es ist daher sinnvoll diese Stammkompetenzen mit digitalen und innovativen Lösungen zu einem Service- und Beratungserlebnis in der Apotheke auszuweiten und die Verknüpfung von vor Ort online bis nach Hause zum Kunden zu schaffen. Das ist ratsam, denn „die inhabergeführte Apotheke wird zu einem Auslaufmodell“, bestätigt die Studie der Deutschen Ärzte- und Apothekerbank. Die Apotheke um die Ecke wird also seltener, vor allem in ländlichen Regionen wird die Versorgungslücke größer